582 Xxv. §. 5. Der wachsende Unglaube unter Friedrich Ii.
selbst ohne Glauben war. Wie schnell war da der Uebergang gemacht,
von den ehrbaren biblischen Stoffen, die man angefangen zu behan-
deln, von der Messtade, von der Noachiade, vom Tode Abels u. s. w-,
zu völlig heidnischen Gegenständen. Klop stock selbst, wie ver-
senkte er sich so ganz in die altdeutsche Götterwelt; Wieland, wie
sank er von seinen biblischen Jugendpoesieen so völlig hinunter in die
gemeine Lüsternheit der französischen, heidnisch - epikuräischen Schrift-
stellerei. Und schon war der gewaltige Kritiker aufgestanden Lessing,
der mit seinem Alles zernagenden Geiste auch das gesammte Gebäude
des alten Kirchenthums zu unterwühlen anfing. „Das Christenthum,"
das war seine Grundanficht, „muß sich durch sich selbst legitimiren, durch
die Früchte, die es schafft; was liegt mir an den Beweisen für die
Wahrheit der Bibel und an der Behauptung der reinen Lehre? Laß
Christ und Jude und Türke zusammentreten und durch ihre Werke
mit einander wetteifern, wer die beste Religion hat." Das erschien
Tausenden als der Inbegriff aller Weisheit. Ueber dem Körnlein
Wahrheit, das darunter gemengt war, vernahmen sie nicht die unge-
heure Lüge, die in der Behauptung liegt, daß noch immer nicht ent-
schieden sei, welche Religion die besten Früchte trage, und daß der
Glaube aus dem unparteiischen Vergleichen des kühlen Verstandes
komme, statt aus der Tiefe eines bußfertigen und zerschlagenen Her-
zens. Natürlich ward auch Lessing wie alle vermeintlich vorurteils-
freien und parteilosen Denker, je länger je mehr ein Feind und Ver-
folger des christlichen Glaubens. Er freute sich des immer sich ver-
größernden Chores junger Dichter, die mit allem Ernst so redeten und
thaten, als wenn gar kein Evangelium, kein Christus in der Welt
wäre, noch je gewesen wäre, als wenn wir alle noch im heidnischen
Griechenland wohnten, und keine andere Gottheit kennten als Zeus,
Aphrodite und Apollo und die Musen, Faunen und Nymphen
u. dgl. Und nun leider waren es gerade diese Dichter, welche den
frischen jungen Morgen unserer deutschen Nationalliteratur heraufführ-
ten. Lessing erlebte es noch, daß mit Schiller und Goethe diese
neue Entwicklung ihrer vollen Mittagshöhe zuschritt. Aber auch diese
hochbegabten Dichter hatten Christo den Abschied gegeben und sich an
der Götterwelt des alten Heidenthums berauscht. Selbst solche Män-
ner, die mit Einem Fuß noch in dem alten Offenbarungsglauben
standen, wie etwa Herder, sie wurden von dem Zug des Stromes ge-
waltsam abwärts getrieben, und konnten sich nicht erwehren, die
Sprache der ungläubigen Zeitgenossen sich anzueignen. Nur hier und
da stand noch ein einsamer Zeuge der Wahrheit, unerschütterlich wie
Fels im Meer, so der Magus des Nordens, so der Wandsbecker
Bote; und doch auch ihnen merkt man es an, daß sie einer andern
Zeit angehören als der reichbegnadigten und gesalbten Väterzeit. Les-
sing war inzwischen mit sestöm Tritte auf seiner Bahn des kritischen
Niederreißens fortgegangen. Durch die Herausgabe der Wolfen büt-
telschen Fragmente meinte er die Art an die Wurzel des alten
Aberglaubens zu legen. Nur Wahrheit, Wahrheit war seine Losung,
und erkannte nicht oder wollte nicht erkennen, daß in den genannten
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Ii Friedrich Lessing Ernst Christus Lessing Schiller Goethe Christo
Xxiii. §. 1. Die Vorarbeiter und die Bahnbereiter der Reformation. 481
sich wage gegen die hochaufgethürmte Burg der Lüge und der Unge-
rechtigkeit.
Alle diese Bewegungen hielten sich fast ausschließlich auf theologi-
schem Gebiet. Es kamen aber noch andere hinzu, welche unmittelbar
die Masse des Volks berührten und es weit und breit in Aufregung, ja
in Gährung setzten. Sie konnten ihrer Natur nach nicht positiv, grün-
dend und bauend, sein, nicht auf das Eine Nothwendige hinsühren,
sondern nur negativ, lösend und brechend, aus den Banden der
bisherigen Vorurtheile und Jrrthümer losmachen. Die immer größere
Last der geistlichen Bedrückungen und Erpressungen sammt dem höchst
ärgerlichen Leben des Clerus auf der einen Seite, der freiere Ausblick
und die größere Geistesklarheit durch die vielen Entdeckungen und neuen
Erfindungen auf der andern Seite hatten aller Orten über Mönche
und Geistlichkeit, über die gesammte Hierarchie mit dem Papst an der
Spitze eine Wucht des Spottes, ja des schneidenden Hohnes ausgeschüt-
tet, daß von einer religiösen Einwirkung der Priesterschaft auf den
denkenden Theil des Volks nicht viel mehr die Rede sein konnte. Was
die Volksschriften damaliger Zeit Bedeutendes lieferten, was die jüngst
erfundene Buchdruckerei allen Leuten, die des Lesens kundig waren, so-
fort in die Hände brachte, waren Fastnachtsspiele von Hans Rosen -
blüt, das Narrenschiff von Sebastian Br ant, Eulenspiegel und
Reineke Fuchs — alle darauf angelegt, die Thorheiten und Versün-
digungen der verschiedenen Stände, vor allen aber der Geistlichkeit zu
verspotten. Der gesunde Menschenverstand schien hier gleichsam zum
ersten Male zum Bewußtsein zu kommen, daß es so nicht länger gehe,
daß die bisherigen Zustände unerträglich seien. Wer lateinisch verstand,
der mochte es noch ausdrücklicher und derber lesen in den Briefen der
Dunkelmänner (epistolae obscuimtim virorum) oder in des Erasmus
Büchlein von der menschlichen Narrheit. Mit einem schonungslosen
Witz wird da die ganze hochgelehrte Theologenwelt sammt der ganzen
Möncherei und dem päpstlichen Hof und der dreifachen Krone verspottet.
Eben dieser Erasmus führte jedoch neben solcherniederreißungs- und
Zerstörungsarbeit auch schon das Material zu einem neuen reformato-
rischen Bau selber herzu — obwohl er selber nie Hand anlegen, nie
am Bau sich betheiligen wollte. Er zuerst hat den griechischen Bi-
beltert in die deutsche Gelehrtenwelt eingeführt, so wie Reuchlin den
hebräischen, und ihn in zierlichem Latein ansprechend und faßlich er-
läutert. Denn schon waren sie über die Alpen herübergedrungen jene
in Italien neuerwachten, durch griechische Flüchtlinge aus Constantino-
pel kräftiger angeregten und tiefer begründeten classischen Studien.
Schon wurden die unsterblichen Werke der altgriechischen und lateini-
schen Dichter, Redner, Geschichtschreiber, Philosophen in ihrer ursprüng-
lichen Gestalt auf italienischen Akademien gelesen und erläutert, und be-
gannen auch in deutschen Gelehrtenstuben sich einzubürgern. Eine
große Verschiedenheit trat dabei hervor. Die gebildeten Leute Italiens
fanden so großen Geschmack an dem Heidenthum in diesen alten
Schriftstellern, daß sie fast zu bedauern schienen, Christus und die
v. Rv hden, Leitfaden. 31 v
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Leitfaden
der
Weltgeschichte
für die
höheren Claffen evangelischer Gymnasien und Realschulen,
sowie
zum Privatgebrauch für Lehrer und für Gebildete überhaupt.
Von
L. v. Nohden,
zweitem Inspektor an der rheinischen Missionsanstalr.
Aber zu der Zeit solcher Königreiche wird Gott
vom Himmel ein Königreich ausrickten, das nim-
mcrmehr zerstöret wird; und sein Königreich wird
aus kein andres Volk kommen. Es wird alle diese
Königreiche zermalmen uno verstören, aber es
wird ewiglich bleiben. Dan. 44.
Lübeck,
von Rohden'sche Buchhandlung.
1859.
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Vorwort.
®ie ältere Geschichtschreibung innerhalb der Christenheit pflegte
an die biblische Offenbarung anzuknüpfen, und an der Hand
der göttlichen Urtheile und Verkündigungen den Entwicklungs-
gang der Völker und vor Allem das Kommen des Reiches
Gottes darzustellen. In neuerer Zeit hak man andere Wege
eingeschlagen. Ob zur Förderung der Geschichtsbetrachtung
und zum Frommen der Christenheit, das liegt jetzt klar genug
vor Augen. Man hat deshalb angefangen, auf die Spuren
der Väter zurückzukehren, aber es ist noch wenig Ernst gemacht
mit dem Aufbau der Weltgeschichte auf biblischer Grundlage.
Das vorliegende Buch möchte als ein solcher Versuch gelten;
als ein Versuch, auf die Entwicklung des Reiches Gottes in-
nerhalb der Weltgeschichte hinzuweisen. Nicht bloß die Ge-
schichte der vorchristlichen Zeit ist mit den Erzählungen und
Weissagungen des alten Testaments in enge Verbindung ge-
bracht, sondern auch die christliche Zeit bis zur Gegenwart hin
ist nach den Fingerzeigen der Alt- und Neutestamentlichen
Offenbarung aufgefaßt und dargestellt. Daß dadurch die Grup-
pirung der Begebenheiten, die Ausdehnung der Abschnitte, die
Aufnahme oder Weglassung von Einzelheiten vielfach bedingt ist,
liegt auf der Hand. Vieles, was sonst in den Weltgeschichten
sehr weitläuftig erzählt zu werden pflegt, ist hier sehr in's
Kurze gezogen oder ganz weggelaffen, dagegen manches Andere
ausgenommen und ausgeführt. Die einläßliche Erzählung aller
geschichtlichen Ereignisse und Anekdoten lag nicht in der Absicht
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
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Xv. §. l. Die Erfüllung der Zeiten.
223
Geister fühlten stch geehrt, vvn ihm bemerkt und durch seine Gunstbe-
zeugungen ausgezeichnet zu werden. In dem allgemeinen Frieden
suchte man die friedlichen Beschäftigungen wieder auf. Handel und
Verkehr belebte sich, Schifffahrt und Ackerbau blühten, Wissenschaften
und Künste stiegen, soweit Rom sich daran überhaupt betheiligte, unter
Augustus auf die höchste Stufe. Was wir von römischen Dichtern
und Geschichtsschreibern Bedeutendes haben (Virgil, Horaz, Ovid,
Catull, Tibull, Properz, Nepos, Livius und der Grieche
Diodorus) lebte unter dem Sonnenschein seiner kaiserlichen Gunst.
Die Zeit des Augustus ist das goldene Zeitalter der römischen Lite-
ratur. Da Augustus auch die Sitten nach Kräften zu bessern suchte
und durch Gesetze wenigstens den größten Ausbrüchen der Lasterhaftig-
keit wehrte, so mochte man seine Zeit überhaupt als eine glückliche und
goldene bezeichnen. Denn die Sehnsucht nach der Wiederkehr einer-
goldenen Zeit war allgemein, bei jedem augenblicklichen Aufathmen nach
langer Trübsal meinte man sie gefunden zu haben. Aber wie hätten die
Heiden ahnen können, daß eben jetzt schon mitten unter sie getreten
sei, den sie nicht kannten, der wahrhaftige Bringer der rechten goldenen
Zeit.
Xv. Eintritt des Reiches Christi in das Weltreich.
Motto: Das Leben ist erschienen.
„Ein neues Leben wird in die sterbende Mensch-
heit gesenkt."
§. 1. Die Erfüllung der Zeiten.
„Da die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn." Der
dunkle Vorhang, hinter welchen der lebendige Gott Jahrhunderte lang
zurückgetreten war, zerreißt plötzlich und die Herrlichkeit des Herrn
erscheint in der demüthigen Gestalt eines armen und hülflosen Kindes
mitten in der Finsterniß der gottentfremdeten Welt. Still und ver-
borgen wie der Eintritt des ewigen Heiles selber, waren auch die
Vorbereitungen geschehen. Niemand hatte ihren Sinn und Zweck er-
kannt. Jetzt waren sie vollendet, die Zeit war erfüllt, die ganze
Welt war in dem Zustande, in welchem sie beim Eintritt und Aufbau
des neuen Gottesreiches sein sollte und mußte. Friede, Gehorsam,
Gesetzlichkeit, Ordnung herrschte weit und breit. Mit ehernem Fuße
hatte Rom alle unruhigen Freiheitsstrebungen und kriegerischen Wirren
der vorher in endlosen Kriegen sich befehdenden Völker abgethan. So
weit der Scepter des Augustus reichte, bildeten alle Völker Asiens,
Afrika's und Europa's eine große Familie, einen feftgeschlossenen,
wohlgegliederten Staatskörper. Von Syrien bis nach Spanien, von
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
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Extrahierte Personennamen: Augustus Horaz Ovid Catull Nepos Livius Augustus Augustus Augustus
Extrahierte Ortsnamen: Rom Christi Rom Asiens Europa's Syrien Spanien